1.
„Weißt du noch?“, so beginnen häufig jene Erzählungen, die, weil oft schon wiederholt, niemand mehr hören möchte. Irgendwann, vor einem halben Jahr etwa, konnte ich es mir aber nicht verkneifen, meiner Frau gegenüber auf eben diese Weise eine Geschichte zu beginnen.
Einige Tage schon war ich auf dem Weg zwischen Wohnung und Atelier an den Displays einer neuen Werbekampagne in den Schaufenstern einer Filiale der Volksbank Stuttgart eG vorbeigekommen, ohne dass mir das Neue daran gleich aufgefallen wäre.
Die Kampagne zeigte Menschen aus dem Stuttgarter Raum – eigenwillige, sympathische und tatkräftige Mitmenschen, so die offensichtliche Intention – die sich einen besonderen Lebenswunsch erfüllt hatten.
Außerdem gemeinsam war Ihnen, dass sie Anteile an der genossenschaftlich organisierten Volksbank erworben hatten und damit „Bankier“ geworden waren. Die Botschaft lautete: „Wir von der Bank sind nette Menschen wie ihr, kommt zu uns, macht mit.“
Das Neue, das ich mir allerdings erst nach einiger Zeit bewusst machte, war, dass da „Bankier“ stand und nicht „Banker“.
Klar, da hatte man auf die Finanz- und Bankenkrise, auf das Bild der Banker als Zocker und „Bankster“ reagiert und ein Image entsorgt, das die Wahrnehmung dieses Berufsstandes nach innen und außen lange Zeit bestimmt hatte – der Banker war jetzt schlicht out.
„Weißt du noch?“, sagte ich zu meiner Frau, „Vor gut einem Vierteljahrhundert da begann es, dass die Angestellten der Banken keine Bankbeamten oder bloße Bankangestellte mehr sein wollten, alle wollten jetzt BANKER sein, cool, tough und dynamisch, die Azubis, die Abteilungsleiter, einfach alle. Banker, Investmentbanker vor allem, waren Avantgarde, Yuppies in Potenz.“
Besonders prägend für das Image des Bankers war die Figur des Gordon Gecko und sein Credo „greed is good“ aus Oliver Stones Film „Wallstreet“ (1987), dessen Fortsetzung, „Wall Street 2: Money Never Sleeps“ (2010), unter anderem wohl auch unter der Tatsache zu leiden hatte, dass der Banker eben keine charismatische Figur mehr ist.
Damals in den neunzehnhundertachtziger Jahren wurde auch die Liaison von moderner Kunst und spekulativem Kapital besonders innig. Entsprechend ist auch Gordon Gecko (Michael Douglas) ein „bedeutender Kunstsammler“ und die Wände seines Büros wie auch seines Wohnhauses sind mit moderner Kunst geschmückt, die den Adepten Bud Fox (Charlie Sheen), der gerade sich anschickt in dieser Welt einen Platz zu erstreiten, zunächst ratlos lässt.
Mit Hilfe von Darien Taylor (Daryl Hannah) aber, einer kunstverständigen Innenarchitektin und Freundin von Gecko, wir ihm bald klar, dass die zeitgenössische Kunst weniger eine Geschmacksfrage, sondern hauptsächlich eine Stilfrage ist – und Stil ist in dieser Welt des schnellen Geldes vor allem demonstrativ, man zeigt, was man hat und kann, man trumpft auf, demonstriert Status und damit Distanz zum Gewimmel der Loser. Moderne Kunst passt dazu bestens; plus ultra. Das Bild des Künstlers verschmolz den Wilden mit dem Aristokraten und damit taugte es zum Rollenvorbild für die neuen Finanzgenies.
Moderne Kunst war jetzt richtig schick, ihre Frechheit, ihre Provokationen, ihre Regelverstöße, die Skandale ihrer Protagonisten korrespondierten dem Selbstbild der Yuppies und speziell auch der Banker – ein neureicher Kult der Rücksichtslosigkeit. In der Kunst und an den Finanzmärkten werkelte in Parallelaktion eine rastlos schaffende Elite, die die biederen Jobber und Bürger das Fürchten lehrte, hier mit ihrer Kunst, dort mit ihren Deals, „Kraft- und Kniffgenies“ (Rambach) allesamt.
Das war die Hochzeit der Postmoderne, deren Ende die Volksbank Stuttgart eG nun seit geraumer Zeit plakatiert.
Neu sind Verwandtschaftsgefühle bei den Avantgarden von Kunst, Finanzwelt und Wirtschaft nicht. Schon zu Beginn der Moderne beim Romantiker Friedrich Schlegel zu lesen:
Man glaubt Autoren oft durch Vergleichungen mit dem Fabrikwesen zu schmähen. Aber soll der wahre Autor nicht auch Fabrikant sein? Soll er sein ganzes Leben nicht dem Geschäft widmen, literarische Materie in Formen zu bilden, die auf eine große Art zweckmäßig und nützlich sind. (SCHLEGEL 1906)
Und irgendwie, möchte man meinen, war die Parallelaktion von Kunst und Kapital der Moderne in die Wiege gelegt. Ist es denn nicht so, dass die Industrialisierung und die fortschreitende ökonomische Inwertnahme aller Lebensbereiche eine Parallele hat in dem Konzept einer „progressiven Universalpoesie“, wie Friedrich Schlegel sie in dem 116. Athenäums-Fragment forderte? Einer Poesie, die sich ebenso wie die Ökonomie auf alle Lebensbereiche ausdehnt, alles mit dem Goldstaub der Kunst adelt.
Der Kunstbegriff wird so weit gedehnt und operationalisiert, dass der Kunst mittlerweile alles als Stoff und Material erschlossen ist, ja, dass die Kunst ähnlich der Ökonomie alles absorbiert, alles zur Kunst oder Kunstübung macht und sich unter dem Label „artistic research“ mittlerweile auch an die Wissenschaften heranwagt.
Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, […]. Sie umfasst alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuss, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang.
[…]
Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen
[…]
Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, dass die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide.
SCHLEGEL, 1988, Bd. 1, S. 204
2.
Dabei war das Verhältnis von Kunst und Kapital immer auch gespannt, die Kunst begriff sich auch als Gegenspielerin oder Unterworfenene, immer gehörte zu ihr auch das Aufbegehren gegen den Markt, der die Werke zu Waren machte. Früh schon hat Charles Baudelaire dies in dem Gedicht „Je n’ai pas pour maîtresse une lionne illustre“ unmissverständlich thematisiert. Die Freundin des Dichters, ein Straßenmädchen, verkauft wohl ihre Seele für ein Paar Halbschuhe, aber selbst Gott müsste über so viel Heuchelei und Hochmut lachen, wollte er, der Dichter, ihr dies vorwerfen – er, der seine Gedanken verkauft, weil er Autor sein will.
Pour avoir des souliers, elle a vendu son âme;
Mais le bon Dieu rirait si, près de cette infâme,
Je tranchais du Tartufe et singeais la hauteur,
Moi qui vends ma pensée et qui veux être auteur.
In „Dialektik der Aufklärung“ reflektieren Max Horkheimer und Theodor W. Adorno diese Verstrickung in den Ausführungen zur „Kulturindustrie“. Noch geschieht dies unter der Prämisse, dass die Kunst Teil der Emanzipation des Menschen ist und negativ zum Bestehenden auf die Utopie verweist.
So ganz will uns der Rigorismus der Moderne nicht mehr einleuchten, zu sehr haben wir schon Abschied genommen vom Prinzipiellen (Odo Marquard). Von der Idee eines Fortschrittes in der Kunst, der sich gegen das Ältere, das Überkommene hart abschließt, von diesem „Krieg aller gegen alle“, den Adorno für die Werke der Kunst in seiner „Ästhetischen Theorie“ diagnostiziert. (ADORNO, S.47)
Viel früher schon als die Stuttgarter Volksbank beerdigte Hans-Joachim Lenger die Postmoderne am zweiten Mai letzten Jahres in einer Sendung des Südwestdeutschen Rundfunks der Reihe SWR2 Aula. Hans-Joachim Lenger beantwortete da die Frage, „Woher weht der Zeitgeist – Was bleibt von der „Postmoderne?“
Die Sendung hat mich geärgert; weniger die vertretenen Thesen zum Begriff der Postmoderne, die boten kaum Überraschendes, sie unterstrichen hauptsächlich bekannte Einwände gegen die Postmoderne, den Begriff sowohl wie das Phänomen, mich ärgerte vielmehr der Ton in dem die Postmoderne abgetan wurde. Es war diese Diktion selbstgewisser Aggressionslust, der mir rasch unangenehm war.
Für Hans-Joachim Lenger ist die Sache klar: „Nicht umsonst und zu Recht bleibt von dieser „Postmoderne“ deshalb auch nichts, was der Rede wert wäre.“ Die Postmoderne, das war nur ein „kulturalistisches Gekräusel an den Oberflächen“, „ein Epiphänomen der […] Moden“, „ein infantiler Lebensstil“, „nicht mehr als ein Symptom“; zu Grunde liegen, so Lenger, erstens, die seit den neunzehnhundertsiebziger Jahren betriebene Liberalisierung und Aufblähung der Finanzmärkte – beginnend mit der Aufhebung der Golddeckung des Dollars durch die US-Regierung – und, zweitens, die immer raschere Ausbreitung der neuen Informationstechnologien, deren grundstürzenden Einfluss Lyotard bereits 1979 in seiner Schrift „Das postmoderne Wissen“ prominent gemacht hatte und den heute, wo bereits das Web 3.0 proklamiert wird, kaum wohl jemand noch bestreiten wollte.
Die Krisen der letzten Jahre machten nun, glaubt Lenger, deutlich, dass dieses „Gekräusel“ der Beliebigkeiten, das Gewusel der „frei flottierenden Zeichen“, die Wohltaten des befreiten Kapitals und die Hoffnung des „Anything goes“ bloße Selbsttäuschungen waren, die den Blick auf die letztlich entscheidenden Verteilungskämpfe und die Frage nach der Gerechtigkeit verstellten.
Aber bereits in den Neunzehnhundertachtziger Jahre, als „Die Postmoderne“ noch in Mode war, vertritt der altgediente Wertpapierhändler Lou Mannheim in dem erwähnten Film „Wall Street“ von Oliver Stone nach kaum dreieinhalb Minuten schon die These, dass es ein Fehler von Präsident Nixon gewesen sei, die Golddeckung des Dollars aufzuheben, weil dies nur die Spekulation angeheizt habe.
Too much cheap money sloshing around the world. Worst mistake we ever made, was letting Nixon get off the gold standard.
Mit großartiger Geste behauptet Lenger, die Trugbilder der kulturellen Oberflächliche zur Seite zu fegen und den Blick frei zu machen auf die Wirklichkeit, die wahren Wirkkräfte der Geschichte – die Verteilung des Geldes und die Privilegierung von Wissen. Gleich, dachte ich, steigert sich seine Verachtung für die Postmoderne zu dem Ausruf: „Weg mit dem Yuppie-Geschmeiß!“ – „Die Yuppie Scum!“
Irgendwie habe ich nicht viel übrig für reduktionistische Erklärungen nach dem Muster: „Das ist doch in Wirklichkeit nur … .“ Schon gar die beliebte Strategie alle Kultur mal kurz zum Appendix der Ökonomie zu erklären behagt mir nicht. Sinnvoller und wegweisend erscheint mir, die Ökonomie als Teil der Kultur insgesamt zu verstehen, wie es die Renaissance der Überlegungen von Gabriel Tarde oder jüngst Joseph Vogl in „Das Gespenst des Kapitals“ unternehmen.
Der pauschale Rant gegen die Postmoderne erklärt nicht, was uns wirklich von der Moderne trennt und dass die Diagnose, die Lyotard 1979 in „Das postmoderne Wissen“ gestellt hat, weit gehend immer noch zutrifft.
Als Charakteristika der Postmoderne benannte er erstens, die technologische Transformation, die „Digitalisierung“ und, zweitens, die Erosion der beiden großen „Erzählungen“ (les grands récits) der Moderne, jener von der Vereinheitlichung und Komplettierung des Wissens und der anderen vom sozialen Fortschritt, der Emanzipation des Einzelnen in einer gerechten Gesellschaft – die Geschichten von den HeldINNen der Erkenntnis und den HeldINNen der Freiheit.
Einhergehend mit der Liberalisierung der Finanzmärkte und der enormen Beschleunigung der Informationsflüsse hat sich jedoch neuerlich eine „große Erzählung“ durchgesetzt, dieses Mal eine von den Wirtschaftswissenschaften geschriebene, jene nämlich vom idealen, effizienten, freien, sich selbst regulierenden Markt, insbesondere der Finanzwirtschaft. Konsequenterweise wurde der „ökonomische Ansatz“ universal.
Genetische Ausstattung, Erziehung, Bildung, Wissen, Gesundheit und Familienplanung werden gleichermaßen dem »ökonomischen Ansatz« unterworfen, und als Wissenschaft von menschlichen Verhaltensweisen und Entscheidungen überhaupt bezieht sich die ökonomische Analyse nun auf die Totalität eines sozialen Feldes, dessen Dynamik und dessen Mikrostrukturen sich nach den Kriterien von Knappheit, Wahlzwang und Opportunitätskosten erschließen. (VOGL, S. 138)
Nach etlichen verheerenden Krisen scheint auch dieser Ansatz, die große Erzählung der Ökonomie, nun desavouiert. Folgerichtig suchen immer mehr Künstlerinnen erneut Dissidenz und den moralischen Schulterschluss mit den Gebeutelten, den Opfern der großen Erzählung der Ökonomie und der Implementierung der Fiktion vom effizienten, freien und eben darum gerechten Markt.
Möglicherweise war die Postmoderne ja erst der Beginn der Postmoderne.
Quellen:
ADORNO, THEODOR W.; Ästhetische Theorie, Gesammelte Schiften Bd. 7. (Suhrkamp) Frankfurt a. M. 1970
LATOUR, BRUNO und LÉPINAY, VINCENT; Die Ökonomie als Wissenschaft der leidenschaftlichen Interessen: Eine Einführung in die ökonomische Anthropologie Gabriel Tardes, (Suhrkamp) Berlin 2010
LYOTARD, JEAN-FRANCOIS; Das postmoderne Wissen – Ein Bericht, (Passagen Verlag) Wien 2005
RAMBACH, FRIEDRICH EBERHARD; Thaten und Feinheiten renomirter Kraft- und Kniffgenies. 4 Teile in 2 Bdn. , (Chr. Fr. Himburg) Berlin 1790-1791
SCHLEGEL, FRIEDRICH; Seine prosaischen Jugendschriften, 2 Bde., Wien 1906, zitiert nach BENJAMIN, WALTER; Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3, (Suhrkamp) Frankfurt a. M. 2008, S. 115
SCHLEGEL, FRIEDRICH; Werke, 2 Bde., (Aufbau-Verlag) Berlin, Weimar 1988
VOGL, JOSEPH; Das Gespenst des Kapitals, (diaphanes) Zürich 2010
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