Ausstellung

Wohin des Wegs?

1.

In einer Glosse von Julia Voss und Niklas Maak mit dem Titel „Heuhaufen, ade“ konnte man in der FAZ  vom 31. Dezember 2009 nachlesen, dass sich das  anspruchsvollere Feuilleton satt gesehen hat an „den üblichen Monets, Cézannes und Renoirs“ und auch die „Leier von der Avantgarde“ nicht mehr hören mag. Zum Glück wurde aber in einigen Ausstellungen des letzten Jahres der „Anfang eines neuen, herrlichen Trampelpfads durch das neunzehnte Jahrhundert“ entdeckt: Die Bilderwelt Walt Disneys und „ihre Wurzeln in der europäischen Kunst“ in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, „Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen“ in der Frankfurter Schirn; Edward Burne-Jones in der Staatsgalerie Stuttgart, Frederic Lord Leighton in der Münchner Villa Stuck und John William Waterhouse in der Londoner Royal Academy.

Diejenigen, die sich auch 2010 „nicht mit den immergleichen Heuhaufen, Apfelstillleben und Balletttänzerinnen langweilen“ möchten, werden von Frau Voss und Herrn Maak zu einem „Fest“ eingeladen: Der Ausstellung mit „Gemälden“  des Historienmalers Paul Delaroche ab Februar in der National Gallery in London.  Diese Ausstellung ist mittlerweile eröffnet und auch gut besprochen worden, ebenfalls in der FAZ, von Eduard Beaucamp.

Beaucamp, bis 2002 Feuilletonchef der FAZ, hat bereits in den neunzehnhundertsiebziger Jahren, die Widersprüchlichkeiten der Moderne benannt, sich für die Protagonisten der Kunst der damaligen DDR, Heisig, Tübke und Mattheuer vor allem, eingesetzt und zugleich vehement eine Neubewertung der sogenannten „Salonmalerei“ eingefordert, die damals auch in großen Ausstellungen, die Kunsthalle Baden-Baden hat sich dabei hervorgetan, nach langer Zeit erstmals wieder gewürdigt wurde.

Eduard Beaucamp; Das Dilemma der Avantgarde

BEAUCAMP, EDUARD; Das Dilemma der Avantgarde, Frankfurt a. Main 1976

Kritisiert wurde damals wie heute die Verengung des Blicks auf die vermeintliche Stafette der Avantgarden und Trends, die angeblich die Fackel des Fortschritts oder zumindest den Glamour der Mode weiterreichen von Generation zu Generation. Gefordert und begrüßt wurde ebenso eine Ausstellungspraxis, die es unternimmt das Kunstgeschehen in größerer Breite abzubilden und die Kunstwerke stärker im historischen Kontext zu präsentieren, der eben immer auch kunsthistorischer Kontext ist und dessen Vielfältigkeit oft verblüfft, immer aber bereichert.

Liest man den Artikel „Unsere Geschichte sah anders aus“ von Niklas Maak in der FAZ vom 19.03. 2010 zur neuen Präsentation der Bestände der Berliner Neuen Nationalgalerie, dann scheinen deren Direktor Udo Kittelmann und sein Kurator Dieter Scholz genau diese Anstrengung in Bezug auf die klassische Moderne nicht gescheut zu haben. Und der von Niklas Maak gewählte Titel könnte durchaus programmatisch und zukunftsweisend für eine narrativere Ausstellungspraxis der nächsten Jahre sein.

Zugestanden auch ich bin die kaffeefahrttauglichen Ausstellungen mit „den üblichen Monets, Cézannes und Renoirs“ müde, selbst durch die umfangreiche Präsentation aus dem großartigen Werk von Alberto Giacometti in der Fondation Beyeler habe ich mich letzten Sommer hindurchgequält, es war mir schlicht zu viel. Dennoch ist mir die Kunst der Moderne näher als die Hervorbringungen der Burne-Jones, Alma-Tadema, Piloty, Keller, Waterhouse, Lenbach, Stuck, Makart, Leighton, Delaroche und wie sie alle noch heißen mögen.

Paul Delaroche; Die Hinrichtung der Lady Jane Grey

Paul Delaroche; The Execution of Lady Jane Grey, 1833, Öl/Leinwand, 246 x 297 cm, National Gallery London

© Public Domain

Das Bild „The Execution of Lady Jane Grey“ von Paul Delaroche, das im Zentrum der derzeitigen Ausstellung in der Londoner National Gallery steht, kenne ich aus eigener Anschauung, auch vor Pilotys „Tusnelda im Triumphzug des Germanicus“ bin ich schon gestanden, genauso vor dem „Türkenlouis“ von Ferdinand Keller in Karlsruhe und anderen Meisterstücken des neunzehnten Jahrhunderts.

Selbstverständlich staunte ich, gerade auch als Maler, angesichts der handwerklichen Geschicklichkeit, die da jeweils sichtbar wird, aber das hielt immer nicht lange, zu sehr erschöpft sich für mein Empfinden diese Malerei in der Produktion von Effekten und die Vorstellung noch der akademischen Maler des neunzehnten Jahrhunderts, Malerei habe, wie lange Zeit zuvor Roger de Piles zum Beispiel schon verkündete, zuallererst einen „Zweck, nämlich die Täuschung unserer Augen“ und „diejenigen, die die Geschichte darstellen, hätten – so Dupuy Du Grez – den ersten Rang“, erscheint mir heute kaum noch attraktiv.

Der pedantische Illusionismus, die angestrebte Handgreiflichkeit, wodurch uns das Geschehen der Bilder nahegebracht, beziehungsweise uns das Eintauchen ins Bildgeschehen, Immersion, ermöglicht werden soll, verfehlen eine dauerhafte Wirkung auf mich. Salon- und Historienmalerei mögen wie Julia Voss und Niklas Maak  schreiben ein „Bergwerk der Ideologien“ sein, das „Bildarchiv, aus dem sich die Populärkultur der Moderne und Postmoderne speiste – vom Kino über die virtuelle Welt bis zu Sciencefiction“, aber Malerei, Kunst, die als medialer Illusionszusammenhang konzipiert ist, finde ich auf Dauer nicht reizvoll, auch als Betrachter beanspruche ich Spielraum; Malerei, finde ich, sollte diesen realisieren und das anders als Film, Foto oder virtuelle Realität.

Vergessen werden sollte auch nicht, dass weite Teile der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts schon als Wiederbelebung und Rettung von Traditionen vorindustrieller Jahrzehnte und Jahrhunderte sich sah.

Ihre Protagonisten genossen zumeist gesellschaftliche Anerkennung und auch wirtschaftlichen Erfolg, sie unterhielten in der Regel große Ateliers, in denen sie ihre zum Teil riesigen Formate bewältigen konnten. Zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde ihre Vorherrschaft dann schon brüchig, nicht nur die Impressionisten waren das Gedöns leid und mit dem Ende des ersten Weltkrieges war dann auch die große Zeit der Salon- und Historienmalerei endgültig vorbei. Ein Star wie der Karlsruher Ferdinand Keller musste diesen Niedergang selbst erleben, die Kritik wandte sich ab, in seiner letzten Zeit als Professor an der Karlsruher Akademie leerte sich seine Klasse und 1912 anlässlich der Ausstellung zu seinem siebzigsten Geburtstag nannte ihn selbst der wohlmeinende Kritiker Oscar Gehrio schon einen „Epigone(n) der Renaissance“.

Ein Querkopf wie Adolph Menzel ist mir da bedeutender – bei dem Bild in der Alten Nationalgalerie Berlin, das die Zusammenkunft von Friedrich II. mit Kaiser Joseph II. im oberschlesischen Neiße zeigt, sind, was Abbildungen kaum verraten, Uniformen und Stiefel zum Beispiel mit Farbe eher gemacht als gemalt, modelliert, das faltige Leder fast geknetet. Darin, und nicht nur darin, ist Menzel modern. Er misstraut virtuosen Effekten, der Arbeiter tritt an die Stelle des Genies.

Das Häufchen Künstler, das wir heute an den Anfang der klassischen Moderne stellen, wurde zumeist doch verlacht, hatte oft kaum das Geld, die Leinwand für die gewöhnlich kleinformatigen Bilder zu beschaffen und fand erst spät Anerkennung. Für uns Heutige ist es oft nicht leicht die Rigidität ihres Bruchs mit den beklatschten Hervorbringungen der Salon- und Historienmaler einzuschätzen.

Die Ausstellung  „The Earthly Paradise“ zum Werk Edward Burne-Jones‘ in der Stuttgarter Staatsgalerie habe ich auch gesehen und war einigermaßen enttäuscht, vor allem von der trägen Uninspiriertheit des Farbauftrages dieser Malerei, so dass ich schließlich froh war, im Sammlungsbestand ein kleines Stillleben von Pierre Bonnard zu entdecken, dessen unprätentiös raue Machart die visuelle Sensation des Motivs nicht einfach in Effekte übersetzt, sondern sie vielmehr im Medium der Malerei rekonstruiert und ihr damit eine besondere Gegenwärtigkeit verleiht – der Maler „fängt Entsprechungen, Fragen und Antworten ein, die in der Welt nur dumpf angedeutet und stets durch die Stumpfheit der Dinge erstickt sind, er entbindet sie und sucht für sie einen wendigeren Leib.“ (M. MERLEAU-PONTY)

So sehr ich einen offenen Blick auf die Kunstgeschichte – und über diese hinaus – dringlich finde, so befürchte ich doch derzeit bisweilen auch eine Wiederholung, diese nämlich: Ab den neunzehnhundertsechziger Jahren hatten Pop-Art und Fotorealismus gegenständliche Malerei wieder populär gemacht, gegen die lange Zeit als neue „Weltsprache der Kunst“ (Werner Haftmann) gefeierte Abstraktion.

Daran änderten auch die bilderstürmerischen Reduktionen der Minimal und Concept Art nichts, im Gegenteil, diese populäre neue Opulenz verschaffte schließlich dem Symbolismus, den Präraffaeliten, kurz, allem, was als „Salonmalerei“ beerdigt worden war, zu einer Wiederauferstehung und führte zu einer Renaissance des Handwerklichen – es wurde nun wieder „richtig“ gemalt und gezeichnet – und zu einem Boom des Fantastischen in der Kunst, der schließlich dann aber verendet ist an handwerklicher Putzsucht und Effekthudelei.

Seit den neunzehnhundertneunziger Jahren nun haben Medienkunst und Installationen ein Wiederaufleben der lange marginalisierten Narration, des Erzählens in der Bildenden Kunst bewirkt und damit den unglaublichen Boom figurativer Malerei mit vorbereitet, der im Erfolg der sogenannten „Neuen Leipziger Schule“ kulminierte. Parallel dazu etablierte sich wieder eine gesteigerte Wertschätzung  von handwerklichem Fleiß und auch jetzt darf wieder „richtig“ gemalt und gezeichnet werden,  gerne zitiert man dabei Populärmedien. Angesichts dessen frage ich mich jetzt, „Wiederholt sich die Geschichte, teilweise zumindest, boomt demnächst eine mittels Projektor, Photoshop® und Illustrator® aufgepeppte Version Fantastischer Malerei?“

2.

Nicht nur die Heuhaufenmalerei, auch anderes scheint nicht mehr recht zu faszinieren. Jörg Scheller schrieb eine  „Steiler Köpfer ins Kunstbassin“ betitelte, wenig begeisterte Kritik zu Georg Baselitz und dessen Ausstellungen im Museum Frieder Burda und der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden.

Dazu passt die Demontage, anders kann man es kaum nennen, von Markus Lüpertz durch das deutsche Feuilleton, unter anderem auch durch Julia Voss in der FAZ vom 16.10. 2009 („Welche Welt will dieser Fürst regieren?“) aus Anlass seiner Retrospektive in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Der Zeitschrift Kunstforum International ist das im Band 200 (Jan./Feb. 2010) zwei Artikel wert und auch Tony Cragg, der Nachfolger von Markus Lüpertz als Rektor der Düsseldorfer Akademie, wird in einem Interview nach seiner Meinung dazu gefragt.

Als Markus Lüpertz Ende der neunzehnhundertsiebziger, Anfang der neunzehnhundertachtziger Jahre  zusammen mit Baselitz und anderen, jüngeren Künstlern als Vertreter einer neuen deutschen, heftigen, ja, wilden Malerei weltberühmt wurde, machten Punks und Popper samt allen Moden dazwischen gerade der Hippiegemütlichkeit ein Ende, weg mit dem Parka und dem Batikhemd, Schluss mit den Erbaulichkeiten, eine neue Härte war jetzt angesagt, Kokain statt Cannabis.

„Young Urban Professionals“, Yuppies, kultivierten das Bild einer neuen Avantgarde von Leistungsträgern, man wollte wieder richtig Geld verdienen, war Design- und Markenbewusst, trug  zumindest Armani bis es zum maßgeschneiderten Anzug reichte. Reichtum und die arrogante Missachtung von Regeln waren jetzt schick – die Figur des „Bankers“ wurde geboren, die bis heute für allerlei Aufregung sorgt.  Der Film zum Image war „Wallstreet“ von Oliver Stone. Ronald Reagan und Margaret Thatcher prägten das Bild der Politik jener Jahre.

Damals war Markus Lüpertz auch in Sachen Mode Trendsetter, heute scheint er der Rudolph Moshammer der Kunst. Nun ist Markus Lüpertz ein intelligenter und selbstbewusster Mensch, der sicher kein Mitleid will, oder braucht und auch ich finde seine notorische Kraftmeierei ermüdend, die Einhelligkeit aber irritiert mich, mit der er aufs kunsthistorische Altenteil gesetzt wird.

Seinerzeit formulierte Markus Lüpertz einen konservativen Wertekanon gegen den heute als 68er-Kultur etikettierten Zeitgeist neunzehnhundertsechziger und – siebziger Jahre: Lüpertz stand für Meisterschaft, Hierarchie, Konkurrenz, Leistung, Arbeit, Anstrengung und Fleiß, eine unsentimentale Professionalität, Härte und Durchsetzungsvermögen. Um die eigene Gefährlichkeit zu unterstreichen, legte man sich Kampfhunde zu und kokettierte mit Halbwelt und Handgreiflichkeit – Schluss mit Peace & Love.

Der Kulturbetrieb neigt dazu, Ideen und Gedanken durch Personen zu repräsentieren, das macht diese Ideen und Gedanken griffiger, führt aber auch dazu, dass diese mit den Personen altern und aus der Mode kommen. Etwas Derartiges geschieht im Augenblick mit Markus Lüpertz. Passend dazu verkündete Lüpertz jüngst erst bei der Eröffnung seiner Werkschau in der Wiener Albertina, er sei alter Bundesrepublikaner, kein Vereinigungsdeutscher (FAZ, Nr. 58, 10.03.10, S. 29). Andere, kühlere Planer beherrschen derzeit die Szene, Jeff Koons, Damien Hirst, Olafur Eliasson, Gerhard Richter, Takashi Murakami, Tobias Rehberger und Anselm Reyle. Wie sehr sich dieser Typ Kunstunternehmer vom Stil eines Lüpertz entfernt hat, wird deutlich, wenn man sich das Video von TateShots über Jeff Koons anschaut.

3.

Offen gesagt, ich liebe Buchmalerei – zum Beispiel die Illustrationen zur Beatus-Apokalypse für Ferdinand I. und Doña Sancha, Spanien 1047,  Biblioteca Nacional Madrid.

4.

Ich bewundere Maria Lassnig, die gerade im Kunstbau in München ausstellt.

Quellen:

BEAUCAMP, EDUARD; Das Dilemma der Avantgarde, Frankfurt a. Main 1976

DE PILES, ROGER; Einleitung in die Malerey aus Grundsätzen, aus dem Französischen des Roger von Piles übersetzt, Leipzig 1760, S. 3

DUPUY DU GREZ, BERNARD; Traité sur la peinture pour en apprendre la théorie et se perfectionner dans la pratique, Traité sur la peinture, Toulouse 1699, S. 46

FROITZHEIM, EVA-MARINA, Ferdinand Keller, Karlsruhe 1992

MERLEAU-PONTY, MAURICE, Die Prosa der Welt, München 1986
zitiert nach: WALDENFELS, BERNHARD, Körperwanderungen im Bild,
in: Bettina van Haaren – Häutungen, Bielefeld 2010

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