Allgemein

Orangensaft

Orangensaft gehört nicht zu meinen Lieblingsgetränken, deshalb kaufe ich nur selten welchen. Ich weiß, dass es Direktsaft, mit und ohne Fruchtfleisch, sowie Saft aus verdünnten Konzentraten gibt. Manche Säfte werden aus „biologisch“ angebauten Früchten gewonnen, andere stammen von konventionell gezogenen.

Ich glaube, ich kann sagen, dass ich mir bisher noch nie groß Gedanken über das Aussehen der Etiketten, Flaschen und diverser Verpackungen von Orangensaft gemacht habe. Das Package Design von Fruchtsäften allgemein hat mich nie besonders beschäftigt. Umso interessanter war es für mich zu erfahren, dass dies für viele andere Menschen offensichtlich nicht gilt.

Der Lebensmittel-Multi PepsiCo Inc. zählt zu seinem Markenportfolio auch „Tropicana“ (nein, nicht die Diskothek in Albstadt-Ebingen). Tropicana ist ein in den U.S.A. beliebter Premium-Orangensaft, der in verschiedenen Varianten angeboten wird, immer als sogenannter Direktsaft, der Saft stammt also ohne den Umweg über ein Konzentrat direkt von Orangen.

Tropicana ist Ende letzten Jahres in neuen Kartons auf den Markt gekommen. PepsiCo hatte bei Peter Arnell das neue Design für die Getränkekartons bestellt.

Was dabei herauskam stieß bei den Verbrauchern auf wenig Gegenliebe, die Ablehnung war so stark, dass, wie Natalie Zmuda am 02.April 2009 auf der Seite von AdAge berichtete, der Verkauf von Tropicana, laut Information Resources Inc., zwischen dem 01. Januar und dem 02. Februar 2009 um 20%, der Umsatz um 33 Millionen U.S.-Dollar eingebrochen war.

Folgerichtig wurde dann gegen Ende Februar der Versuch abgebrochen das neue Design am Markt zu etablieren. Tropicana wird jetzt wieder in Kartons mit dem alten Design abgefüllt, das erst vor ein paar Jahren auf den Markt kam und von Sterling Brands stammt.

Peter Arnell ist das, was man einen Designguru nennt. Passend dazu versteht er seine Firma nicht als Werbeagentur, sondern als „multi-disciplinary brand and product invention company“

PepsiCo hatte ihn nicht nur mit dem Relaunch von Tropicana betraut, zusätzlich sollte er auch den Auftritt der Marken Pepsi-Cola und Gatorade überarbeiten.  Das neue Design für Pepsi-Cola wurde ebenfalls kritisch beäugt, manche monierten seine Nähe zum Logo von Korean- Airlines oder gar dem der Wahlkampagne von Barack Obama.

Viele reagierten mit Kopfschütteln als dann das Memo auftauchte, in dem das neue Design für Pepsi Cola vorgestellt und erläutert wurde; darin wird eine 5000 jährige Tradition für das neue Pepsi-Design konstruiert, diese umfasst neben anderem Überlieferungen der Hindu, das Ying & Yang, den Goldenen Schnitt, den Parthenon-Tempel in Athen, Da Vinci, das Möbiusband und Le Corbusier.  Nur die Templer, die Freimaurer und die Pyramiden hat man nicht berücksichtigt. Es fallen Begriffe wie, Perimeter Oscillations, Pepsi Energy Field, Pepsi Globe Dynamics, Gravitational Pull und Pepsi Orbit.

Das Memo gilt den meisten als Musterbeispiel für hypertrophe Selbstdarstellung, vulgo: Aufgeblasenheit. Das mag zutreffen, dennoch werden innovative Impulse realisiert, wenn das neue Logo nicht mehr nur als flächige Grafik, sondern als dreidimensionales Objekt konzipiert wird. Das neue Design für Pepsi Cola wurde im Gegensatz zu dem von Tropicana beibehalten.

Liest man die Reaktionen auf Arnells Misserfolg mit Tropicana, hat man das Gefühl, dass ihm viele diesen Fehlschlag gönnen. Woran das liegen könnte, ahnt man, wenn man den Artikel (online, 28.03. 2009/offline, 06.04. 2009) von Newsweek über Peter Arnell liest. Arnell scheint exakt dem Klischee eines egomanen Werbedesigners zu entsprechen, bis hin zu seiner Brillenmarotte, er besitzt insgesamt 1600 Stück, alle mit Gläsern, die seiner Sehstärke angepasst sind.

Beim Redesign von Pepsi, Gatorade und Tropicana folgte Arnell der verbreiteten Devise „Weniger ist mehr!“.  Arnell will ein Design „cool“ und „lean and clean“ – damit steht er nicht alleine, der Hang zu bauhäuslerischer Aufgeräumtheit ist bei Gestaltungsprofis ja durchaus verbreitet.

Über die Qualität und die Gründe für das Scheitern seiner Version von Tropicana ist viel und zum Teil lustvoll negativ geschrieben worden. Ich möchte zweierlei hinzufügen, das mir beim Anschauen eines Videos aufgefallen ist, das Peter Arnell zeigt, wie er während einer Pressekonferenz von PepsiCo sein Designkonzept für Tropicana erklärt.

1.

Zunächst fiel mir auf, dass Arnell in diesem Video über sein neues Verpackungsdesign für Tropicana spricht wie ein zeitgenössischer Künstler, der seinem Publikum ein schwer verständliches Kunstwerk erklären will. Arnell müht sich die Schlüssigkeit seiner Konzeption zu verdeutlichen, indem er beschreibt, wie Details der Gestaltung im Kontext verstanden werden müssen. Derlei Versuche für Gestaltung Eindeutigkeit und Linearität  zu behaupten, wirken – vor staunendem Publikum – nicht nur in der Kunst oft eigenartig bemüht.

Selbstverständlich soll das neue Design für Tropicana frisch und modern sein. „Squeeze“, „Drücken“ ist das Motto. Auf der neuen Packung wird demnach gezeigt, was in der Packung ist, keine Orangen, sondern ausgepresster Orangensaft nämlich. Deshalb auch der veränderte Schraubverschluss – Arnell nennt ihn „squeeze-cap“ – der Form und Aussehen einer halben Orange hat. Jedes Mal beim Öffnen der Packung dreht und drückt man diesen, laut Arnell eine ergonomische Anspielung auf das eigenhändige Auspressen einer Orange, deren reiner, frischer Saft fließt dann, so die Logik, in die Packung und von dort in das Glas.

„Squeeze“ soll aber auch die innige Umarmung, das „Drücken“ eines geliebten Kindes durch seine Eltern assoziieren und so den Orangensaft zum Inbild elterlicher Zuwendung und häuslicher Kontinuität befördern. Das ist deutlich schief gegangen. Die Botschaft ist nicht angekommen. Wahrscheinlich wurde das vom Design intendierte Moment der Reinheit bis zur Kühle, ja Kälte überbetont und „squeeze“ hat dabei einen unschönen Beiklang bekommen.

Wie andere Zeichentheoretiker auch, behauptet Nelson Goodman (S. 17), „[…] fast alles kann für fast alles andere stehen.“. Für Goodman sind Zeichen arbiträr, sie können willkürlich gewählt werden, es ist also egal, ob wir ein Ding X nun „Waschmaschine“ oder „Socke“ nennen. Wichtig ist jedoch, dass alle in einer Sprachgemeinschaft wissen, wovon die Rede ist, wenn ich „Waschmaschine“ oder „Socke“ sage.

Es ist diese Konventionalität, die der beliebigen Verschiebbarkeit von Zeichen und Bedeutungen im Wege steht. Diese Konventionalität lokalisiert Kunstwerke und Kreationen gleichermaßen im kulturellen Kontext, relativiert Subjektivität und die Unabhängigkeit der Kreativität, zugleich ist sie das Material kultureller Neuerungen.

Umberto Eco formuliert in seinem Aufsatz „Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien“ (Eco S. 96) eine moderne Konzeption ästhetischen Wertes, „derzufolge jedes ästhetisch gelungene Kunstwerk zwei Charakteristika aufweist:“

–  Es muss eine Dialektik zwischen Ordnung und Neuheit, mit anderen Worten, zwischen Schema und Innovation erreichen,

–  diese Dialektik muss von einem Konsumenten erkannt werden, der nicht allein die Inhalte der Botschaft, sondern auch den Weg, auf dem diese Botschaft die Inhalte vermittelt, erfassen muss.

Versuche die innovative Unabhängigkeit der eigenen kreativen Setzungen gegenüber den Unverständigen zu behaupten, erinnern deshalb leicht an eine Begebenheit die Thomas Pynchon in der frühen Erzählung „Entropie“/“Entropy“ schildert.

1957 in Washington D.C. feiert  Meatball Mulligan seit Tagen eine Party, die sich auch das Duke di Angelis Quartett nicht entgehen lässt, eine Jazz-Formation, deren Mitglieder irgendwann stumm zusammenstehen, seltsame Bewegungen machen und mit den Füßen den Takt einer unhörbaren Musik zählen. Auf Nachfrage erklärt Duke, der Bandleader:

„Aber mir ist aufgegangen, in einem von diesen lichten Momenten, dass es nur eins bedeuten konnte, wenn Mulligans erstes Quartett kein Klavier hatte.“

„Keine Akkorde» , sagte Paco, der milchgesichtige Bassist.

« Was er sagen will», sagte Duke, «ist: keine Stützakkorde. Nichts, worauf du hören kannst, während du deine Melodielinie bläst. Was man in so einem Fall macht, ist, man denkt sich die Akkorde.“

Meatball dämmerte eine schreckliche Erkenntnis. „Und der nächste logische Schritt“, sagte er.

“Ist, sich alles zu denken“, verkündete Duke mit schlichter Würde. «Akkorde, Melodielinie, alles.“

Meatball sah Duke an, ganz Ehrfurcht. „Aber“, sagte er.

PYNCHON, THOMAS; Entropie, in: Spätzünder, (Rowohlt Verlag) Reinbek bei Hamburg 2002, S. 115

„But it occurred to me, in one of these flashes of insight, that if that first quartet of Mulligan’s had no piano, it could only mean one thing?‘

„No chords:‘ said Paco, the baby-faced bass.

„What he is trying to say, „Duke said, „is no root chords. Nothing to listen to while you blow a horizontal line. What one does in such a case is, one thinks the roots?”

A horrified awareness was dawning on Meatball. „And the next logical extension:” he said.

„Is to think everything:’” Duke announced with simple dignity. „Roots, line, everything?”

Meatball looked at Duke, awed. „But,“ he said.

PYNCHON, THOMAS; Entropy, in: Slow Learner, New York 1985, S. 95

2.

Gestaunt habe ich zweitens, dass – wie im Abspann des Videos behauptet – PepsiCo zwar zum alten Design von Tropicana zurückgekehrt ist, aber den von Arnell entwickelten Schraubverschluss in Form einer halben Orange, den „squeeze-cap“ , beibehalten will.

Nicht nur, dass man unter dem Druck der Konsumenten zum Design mit der komplizierteren Bildsprache zurückkehrt, man fügt sogar noch ein Element hinzu, das die Komplexität erhöht.

Die alte Verpackung mit dem Bild der Orange, in der ein Trinkhalm steckt,  forderte ja nicht nur ein differenzierteres Bildverständnis, es hatte, anders herum, auch ein größeres imaginatives Potenzial. Einen Trinkhalm in eine Orange zu puhlen ist ja nicht das gängige Verfahren um den Saft dieser Orange zu trinken.

Das Bild schafft also mit den gängigen Mitteln realistischer Bildsprache eine starke Symbolisierung für Frische, Unmittelbarkeit, Energie und Unverfälschtheit. Der Saft selbst dagegen bleibt unsichtbar, er ist kostbar, er ist das Gravitationszentrum der Phantasmagorie, wir müssen nur zugreifen, genießen und uns erfrischen, jetzt.

Die Beibehaltung des „squeeze-cap“ fügt  all dem ein weiteres Element hinzu, das ebenfalls Aktivität mit spielerischer Fantastik verbindet und das narrative Potenzial der Verpackung zusätzlich erhöht.

Das Design von Arnell dagegen zielt auf musealen Standards, er will ein in sich bruchloses Werk, etwas, woran in vielen Fällen schon die Kunst nicht mehr interessiert ist.

Das Design von Arnell mit der klaren Aussage überzeugt weniger als jenes von Sterling Brands, weil dessen komplexere Erzählung einfach mehr Momente enthält, mit denen man Persönliches verbinden kann. Der beibehaltene „squeeze-cap“  fügt dem noch eine weitere Diskontinuität, eine produktive Unreinheit, einen „Touch Point“ im Wortsinne hinzu und erweitert das imaginative Potenzial für die Konsumenten.

Die Geschichte  von Arnells Scheitern mit Tropicana erinnert an die Geschichte des „Forward Look“ im US-Automobildesign der neunzehnhundertfünfziger Jahre, wie sie Grant McCracken in dem Aufsatz „When Cars Could Fly“ erzählt.

Das Design des Forward Look war inspiriert von Überschalljets und Raketen, die Autos glänzten mit jeder Menge Chrom und Zierrat („Brightwork“) sowie mit Elementen, riesigen Heckflossen zum Beispiel, die vom Gesichtspunkt des Ingenieurs und unter der Prämisse „form follows function“ schlicht unsinnige Dekoration waren.

1954 als der von Harley Earl und Ned F. Nickles geprägte Forward Look einen regelrechten Boom auf dem US-Automarkt auslöste, war der damalige Designguru Raymond Loewy bei Studebaker für das Design zuständig. Studebaker verlor mit seinem 1954er Modell 29 Millionen Dollar, während andere Automobilproduzenten Verkaufsrekorde feierten. Studebaker feuerte daraufhin den wutschnaubenden Loewy und brachte fortan auch Autos im Forward Look auf den Markt.

Oft ist weniger eben weniger. Mehr, bedeutet nicht unbedingt ein Mehr an technischer Performanz und informationeller Effizienz, sondern ein Mehr an narrativem Potenzial. Design muss es den Menschen auch ermöglichen, die Produkte in die Erzählungen ihrer Gegenwart einzubetten. Neben technisch-funktionellen und formalästhetischen Maßgaben, sind hierfür Schnittstellen mit vitalen kulturellen Kontexten zu integrieren, das ist entscheidend. Design darf dafür dann manchmal eben auch barocker sein und mit „Brightwork“ aufwarten.

ECO, UMBERTO; Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien, in: Streit der Interpretationen, (Europäische Verlagsanstalt) Hamburg 2005

GOODMAN, NELSON; Sprachen der Kunst, (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1. Aufl.) Frankfurt a. Main 1997, S. 17

McCRACKEN, GRANT; When Cars Could Fly, in: Culture and Consumption II, (Indiana University Press) Bloomington u. Indianapolis 2005

PYNCHON, THOMAS; Entropie, in: Spätzünder, (Rowohlt Verlag) Reinbek bei Hamburg 2002

PYNCHON, THOMAS; Entropy, in: Slow Learner, New York 1985

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