„It happens.“, so kurz und knapp kommentierte Forrest Gump während seines Laufes quer durch die U.S.A., wieder und wieder von Küste zu Küste, den Hinweis eines Mannes, er sei gerade voll in einen Hundehaufen getreten. Kurz davor hatte dieser Mann, der sein Geld mit Autoaufklebern verdiente, den unbeirrt weiterlaufenden Forrest Gump um einen Slogan für einen solchen Autoaufkleber gebeten.
Dem Film nach inspirierte Forrest Gump mit diesem Tritt in den Hundehaufen und dem lakonisch folgenden „It happens.“ den Slogan „SHIT HAPPENS“. Seit damals, so erzählt uns der Film, sei der Slogan als Statement auf Autoaufklebern populär und jener Mann reich, der Forrest Gump um einen griffigen Spruch anging.
„Shit happens!“ durfte auch ich mir sagen, als vor nun zwei Wochen per „Kernspin“, genauer, per Magnetresonanztomographie festgestellt wurde, dass ich mir mein rechtes Knie gewaltig zerknautscht hatte. Ultraschall (Sonographie) und Röntgen hatten davor keine Bilder geliefert, die die Ursache meiner Schmerzen zeigten, die Röntgenbilder nur erfreulich gut erhaltene Knochen, aschfarben vor schwarzem Grund.
Ich hatte bis dato noch nie eine Magnetresonanztomographie mitgemacht, wusste nur, dass man dabei wie ein Braten in eine Röhre geschoben wird, wo man dann einige Zeit unbeweglich zu liegen hat, damit die Bilder nicht verwackeln. Es gibt viele, denen das reichlich unangenehm ist, ich war gespannt wie ich es hinnehmen würde. Irritiert hat mich schließlich, dass es, während diese arbeitet, im Innern der futuristischen Apparatur rumort, klopft und hämmert – das Ding klingt nicht nach Hochtechnologie, sondern nach Werkbank.

MRT-Gerät (Philips Achieva 3.0 T), Wikipedia
Zum Abschied hat man mir– „für den behandelnden Arzt“ – eine CD mit den vom Magnetresonanztomographen gemachten Aufnahmen meines Knies mitgegeben. Der behandelnde Arzt, Doktor Schulz, ein Orthopäde, den ich von Schulzeiten her kenne, verabreichte Medizin und stellte mich fürs Erste unter Hausarrest, seit dem bessert mein Knie sich stetig.
In den Tagen zu Hause habe ich mir zwei Comics von Mark Beyer wieder angeschaut, „Agony“ und „Amy & Jordan“. Ich mag beide sehr gerne, sie erzählen Geschichten aus dem Leben eines Paares, Amy und Jordan, denen ein haarsträubendes Unglück nach dem anderen zustößt, ohne dass sie je aufhörten an die Möglichkeit des Glücks zu glauben. Die Geschichten und die durchgängig schwarzweißen Zeichnungen dazu sind von fantastischer Eigenwilligkeit, hinreißend schräg und bei allem Irrwitz, aller Grausamkeit voll unsentimentaler, metaphysisch grundierter Empathie.

BEYER, MARK; Agony, (Maro-Verlag) Augsburg 1992
Auf der Suche nach diesem „Mark Beyer“ fand ich nicht allzu viel im Internet und Bücher von ihm gibt es wohl nicht eine Handvoll Titel zu kaufen. Umso mehr ist zu schätzen, dass der Maro Verlag in Augsburg weiterhin zwei Titel von Mark Beyer nämlich „Agony“ und „Amy & Jordan“ in seiner Reihe „Die Tollen Bücher“ anbietet.
Schwarzweiße Bilder zur Lage – nicht, wie ich dachte, bunte – fand ich auch auf der CD mit den Aufnahmen von meinem Knie. Neugierig hatte ich die CD zu Hause am PC gleich eingelegt um die Aufnahmen am Bildschirm anzuschauen. Ein wenig gestaunt habe ich, dass auf der CD nicht nur eine puristische Sammlung von Ordnern mit rätselhaften Bildern zu finden war. Im Gegenteil, ein Programm öffnete eine Benutzeroberfläche mit vielen interaktiven Funktionen.
Was ich am Bildschirm vor mir sah, war ein weiteres Beispiel für die eminente Wichtigkeit der Multifunktionalität von Bildern gerade im Cyberspace. Diese Multifunktionalität reicht von einfachen navigatorischen Funktionen bis hin zum „Naturalismus“ der Aufnahmen des Knies, die der diagnostisch geschulte Arzt aber wiederum ganz anders wahrnimmt als ein Laie.
Ein Laie, mag sein, ist viel empfänglicher für das gespenstisch Seltsame der Bildsequenzen, vor allem, wenn er – ohne dass ihm die Bilder in einem spontanen, intuitiven Sinn „ähnlich“ wären – diese dazuhin noch mit dem eigenen Körper und Befinden zu korrelieren hat.
Bemerkenswert finde ich, dass man sich nicht mit einer einfachen grafischen Benutzeroberfläche zufrieden gegeben hat. Auch in der Medizin scheint Gestaltung bei der digitalen Visualisierung über das rein Organisatorische hinaus wichtig geworden zu sein.
In diesem Fall bemühte man um ein Design mit der Anmutung kühler Professionalität, dazu passend wurde das interaktive Bild eines metallenen Bedienungspaneels programmiert, bei dem auch Nieten in der Abdeckung oben und unten nicht vergessen wurden. In der Grundeinstellung ist es links von den Feldern des Splitscreens mit den Aufnahmen platziert.
Offensichtlich ging es nicht nur darum, die Resultate eines bildgebenden Verfahrens medizinischer Diagnostik zugänglich zu machen, sondern der Rezeption mittels der Bildschirmdarstellung auch einen ästhetischen Kontext zur Verfügung zu stellen, der bloß praktische Erwägungen sichtlich übersteigt.
Besonders deutlich wird das im Vergleich mit einem Screenshot des beliebten Computerspieles „World of Warcraft“, das bei teilweise ähnlicher Bildfunktionalität eine entschieden opulentere Ästhetik pflegt, selbst dort, wo es auch darum geht die Assoziation operativer Rationalität aufzurufen. Klar, die Zielgruppen und Zwecke beider Programme sind verschieden.
Ich frage mich aber, ob Ärzte ein optisch opulenteres Design der für sie und ihre Zwecke programmierten Benutzeroberfläche begrüßen würden, ob dadurch die Funktionalität der Benutzeroberfläche sich vielleicht sogar erhöhen ließe und ab wann optische Opulenz seitens der Ärzte als unprofessioneller Schnickschnack empfunden würde.
Unstrittig scheint mir, dass eine zunehmend sich differenzierende Bilderfahrung und der, besonders auch durch die interaktiven Benutzeroberflächen im Cyberspace, zunehmend sich differenzierende Umgang mit Bildern, unsere Vorstellungen über Funktionalität und Angemessenheit von Design, von Gestaltung verändert.