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Bitte hier klicken!

Wie viele andere sind auch John Arquilla und David Ronfeldt, zwei Analysten der RAND Corporation, überzeugt, dass wir einen Epochenwechsel durchleben und dass in Zukunft Netzwerke die dominante Form sozialer Organisation sein werden, nach, wie sie es nennen, „tribes, hierarchies and markets“. Diese Netzwerkgesellschaft, „Network Society“, wird sich auch sehr wesentlich durch die Bilderfahrung ihrer Angehörigen von früheren Gesellschaften unterscheiden.

Zur jahrhundertealten Vertrautheit mit dem unbewegten, dem statischen Bild ist längst die Erfahrung und der Umgang mit dem bewegten Bild, Film, Fernsehen und Video vor allem, hinzugekommen. In den letzten Jahren wird die Bilderfahrung um das Erlebnis des benutzbaren, des interaktiven Bildes erweitert, hauptsächlich durch Computerspiele und das Internet. Heißt es in Museen gewöhnlich rigoros, „Bitte nicht berühren!“, ist beim interaktiven Bild die Einwirkung der Betrachter essenziell, es heißt jetzt, „Bitte hier klicken!“ oder einfach „Hier klicken!“.

Kaum etwas hat unsere Vorstellung, was ein Bild sei, unsere abendländischen Bildkonzeption und Bildproduktion so nachhaltig beeinflusst wie die Abhandlung „Über die Malkunst“ von Leon Battista Alberti (Lateinisch: De Pictura 1435, Italienisch: Della Pittura1436). Albertis Schrift ist die erste systematische Abhandlung der Neuzeit über die Malerei. Sie kursierte zunächst einhundert Jahre in handschriftlichen Kopien bevor sie dann endlich 1540 gedruckt wurde.

Alberti beschreibt darin auch die Grundzüge der Konstruktion perspektivischer Abbildungen. Die Perspektive, die perspektivische Zentralprojektion ist ein Spezifikum der europäisch-abendländisch geprägten Kunst. Bis heute bildet diese Konzeption den Hintergrund für unser Verständnis und die Beurteilung gerade auch davon abweichender, nichtperspektivischer Bilder, weil die perspektivische Zentralprojektion integraler Bestandteil unserer Vorstellung von Realismus und Ähnlichkeit ist. Veristisches Gamedesign, der Animationsfilm sind ein populäres Zeugnis der ungebrochenen Bedeutung der Perspektive.

 

Last Chaos, Screenshot, © 2003-2009 Barunson Games Corporation

Last Chaos, Screenshot, © 2003-2009 Barunson Games Corporation

 

Alberti vergleicht das Bild mit einem durchsichtigen Glas („vetro tralucente“, Della Pittura, Kap. 12), das die Pyramide der Sehstrahlen vom idealen Betrachter zum Gegenstand schneidet, das Wort „Bildschirm“ kannte er noch nicht.

B. TAYLOR, New Principles of Linear Perspective, London 1791

B. TAYLOR, New Principles of Linear Perspective, London 1719

 

In seiner Darstellung der Perspektive findet sich auch die berühmte Stelle, wo Alberti das Rechteck des Bildes mit einem geöffneten Fenster vergleicht („una finestra aperta“, Della Pittura, Kap. 19), das ausschnitthaft eine Handlung, ein Geschehen zeigt. Das Bild zeigt den Anblick eines Ausschnittes in sowohl zeitlicher als räumlicher Hinsicht. Die Darstellung hat in diesem Sinne kohärent zu sein, also eine plausible Einheit von Ort, Zeit und Handlung zu bieten. Eines der wesentlichen Instrumente dies zu bewerkstelligen, ist die perspektivische Konstruktion des Bildraumes.

Albertis Bildverständnis ist wirkungsorientiert. Er fordert, die im Bild gezeigte Handlung müsse, ingeniös komponiert, körperlich und seelisch bewegte Figuren zeigen, damit der Betrachter belehrt, bewegt und erfreut werde.

Wichtig dabei ist, dass die Bildhandlung, die istoria, bei dieser Konzeption über den im Bild tatsächlich sichtbaren, zeitlichen und räumlichen Ausschnitt hinausgeht. Das heißt, das zeitliche Davor und Danach sowie der jenseits der Bildgrenzen, des „Fensterausschnittes“, gelegene Raum sind vom Bild implizit mitgegeben. Dies hat eine Dynamisierung der Bilder zur Folge. Entsprechende Bildkompositionen unterstützten dramatische, bewegende Bildwirkungen.

Durch die zunehmende Vertrautheit mit dem bewegten Bild, spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hat sich seitens der Betrachter  die Erfahrung gerade auch des statischen Bildes als Ausschnitt aus einem Kontinuum der Bilder, als Filmstill sozusagen, ausgeprägt.

„Kompositionell sind stets die angedeutete Motorik der gezeigten Figuren und Motive, ihre Ausrichtung zueinander und ihre Interaktion mit dem Bildrahmen relevant. […] So lädt ein solches Bild den Betrachter kaum mehr zur Introspektion ein, macht vielmehr neugierig auf weitere Momentaufnahmen, auf die Fortschreibung dieser personengebundenen Doku-fiktion. “

MEDER, THOMAS, Was ist (heute noch) ein Bild?, in Sachs-Hombach (Hrsg.) Bild und Medium, (Herbert von Halem Verlag) Köln 2006, S. 110

Durch die „Digitale Revolution“ erleben wir heute einen ähnlich folgenreichen Zugewinn an Bilderfahrung wie durch die perspektivische Bildkonstruktion und das bewegte Bild. Die klassische Bildkonzeption hatte einen Betrachter mit einem festen Standpunkt, der in einen Bildraum schaut, vorausgesetzt. Das bewegte Bild hat dem den Zeitfluss und den Wechsel des Betrachterstandpunktes hinzugefügt. Das Handlungsmoment, die istoria, die „Action“, wurde durch  Entwicklungen von Bildkomposition und Technik forciert.

Web 2.0 und Gamedesign, Touchscreens, Augmented Reality, etc. ermöglichen nun, über die klassischen Bewegtbildformate hinaus, eine Bilderfahrung, die eine dramatische Weiterentwicklung der wirkungsorientierten Ästhetik und Bildkonzeption albertischer Prägung bedeutet, indem sie unserer Bilderfahrung das Erlebnis des interaktiven Bildes hinzufügen.

Diese Entwicklung beginnt im Grunde bereits mit dem Mauszeiger, der es mir erlaubt ein Bild zu benutzen und sei es auch nur das im Fenster eines Textverarbeitungsprogrammes geöffnete Dokument. Der Mauszeiger ist ein früher, verhältnismäßig einfacher Avatar, an den ich Körperlichkeit delegiere.

Wir haben unseren Standpunkt, von dem aus wir, emotional bewegt zwar, durchs „Fenster“ des Bildausschnittes in den Bildraum nur hineingeschaut haben, verlassen und diesen Bildraum betreten. Wir schauen nun nicht mehr nur von außen in einen Bildraum hinein, wir befinden uns jetzt in einer Welt von Bildern, in einer Bildwelt. In dieser sind wir handelnde Personen und die Handlungsmöglichkeiten in diesen Bildwelten werden durch deren zunehmende Interaktivität immer vielfältiger. Wir wollen nicht mehr nur zuschauen, sondern dabei sein und mitmachen.

Quellen und Materialien

ALBERTI, LEON B.; Della Pittura – Über die Malkunst, Ital. /Dt., Hrsg. Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt 2007

MEDER, THOMAS; Was ist (heute noch) ein Bild?, in Sachs-Hombach (Hrsg.) Bild und Medium, (Herbert von Halem Verlag) Köln 2006

REHKÄMPER, KLAUS; Bilder, Ähnlichkeit und Perspektive, (Deutscher Universitätsverlag) Wiesbaden 2002

Zu Arquila und Ronfeldt vgl.: RHEINGOLD, HOWARD; Smart Mobs, (Perseus Books) Cambridge, Mass., USA 2002, S. 161 ff

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