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Neda

Heute vor fast einer Woche, am vergangenen Samstag wurde im Iran, in den Straßen von Teheran, eine junge Frau erschossen. Ein Video das ihr Sterben zeigt, ist seitdem in verschiedenen Versionen im Internet zu sehen, auch diverse Nachrichtensender haben die Aufnahmen gezeigt. Die junge Frau hieß Neda Mahdavi Agha Soltan und wurde in den Tagen danach zur Ikone des Widerstands gegen Regierenden im Iran. „I am Neda“ steht seitdem auf vielen der Zettel und Schilder, die von den Protestierenden mitgeführt werden.

Seit der Veröffentlichung des Videos wird immer wieder behauptet, die Verbreitung dieses Videos schüre und bediene Sensationslust und Voyeurismus.

Die Liste jener Bilder, die Geschichte prägnant ikonisieren ist lang und jedem fällt ein Foto ein, das seine Erinnerung an historische Ereignisse summiert. Sehr oft zeigen diese Bilder Schreckliches und oft ist dieses plakative Zeigen des Schrecklichen der Anfang vom Ende des Schreckens.

In aller Beschreibung, in jedem Bild von Schrecklichem, in allem Zeigen von Tod und Verderben, in der Medialisierung des Schreckens selbst, steckt die Möglichkeit sowohl des Missbrauchs wie der Katharsis. Die eine ist ohne die andere nicht zu haben. Alles dokumentarische Bemühen um Wahrhaftigkeit balanciert auf diesem Grat wo Zeugenschaft in Voyeurismus umschlägt, Anteilnahme in Kitzel.

Medialisierung bedeutet immer auch Fiktionalisierung, die Unmittelbarkeit der Situationen und der Gefühle wird medienvermittelte Geschichte. Erst in dieser Vermitteltheit sind sie uns und unserer Anteilnahme zugänglich. Wir sehen „nur“ Bilder, wir sind nicht dabei, niemals dabei gewesen. Gerade bei Dokumentationen ist dies oft schnell und manchmal gerne vergessen. Gegen diese von Bildern nie abzustreifende Scheinhaftigkeit, gegen diese den Bildern inhärente Täuschung, dieses „Als-Ob“ zielte bereits Platons Misstrauen.

Bilder, gerade auch dokumentarische Bilder, wie die vom Sterben der jungen Iranerin Neda, extreme Bilder, sind immer in Gefahr mit den gezeigten Menschen und ihren Gefühlen Schindluder zu treiben, sie als „Aufreger“ zu vernutzen. Insofern ist auch die Frage danach immer wieder berechtigt, was unter gegebenen Umständen wie gezeigt werden kann und darf. Nur gibt es darauf keine glatte, immer taugliche Antwort, diese muss immer neu versucht werden. Ähnlich steht es in der Kunst: „Vergebens, abstrakt die Grenzen ziehen zu wollen zwischen ästhetischer Fiktion und dem Gefühlsplunder des Kitsches. Als Giftstoff ist er aller Kunst beigemischt; […].“ (Theodor W. Adorno)

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, sie entzieht sich uns, sie kann von uns also nicht verletzt werden, gleichwohl können wir es ihr gegenüber an Achtung und Respekt fehlen lassen, wir können aber Neda und ihrem Sterben die Würde nicht nehmen.

ADORNO, THEODOR W.; Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften Bd. 7, (Suhrkamp Verlag) Frankfurt a. Main 1970, S.354 f

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