Meist habe ich mehrere kleine Bilder gleichzeitig in Arbeit und oft sind es gerade sie, die mich lange beschäftigen, die, zum Teil angefangen, zum Teil fast, aber doch noch lange nicht fertig, im Atelier stehen, meine Aufmerksamkeit fordern und mir zuweilen auch eine Last werden, weil ich keine brauchbare Lösung finde. So wundert es nicht, dass ich, gescheitert, von den kleinen Arbeiten immer wieder eine in den Müll gebe. Wenn dagegen ein kleines Bild gelingt, hat dies fast immer etwas Verblüffendes für mich.
Ich beginne die Arbeit an einem Bild gewöhnlich recht unbekümmert und gerade kleine Formate nutze ich oft um Einfälle kurzerhand auf Tragfähigkeit zu prüfen. Daran liegt es wohl, dass ich die Kleinformate oft spröder, ja schroffer empfinde, die Mühe einen Impuls zu formulieren, überwiegt häufig das Spielerische der zeichnerischen und malerischen Entfaltung.
Wegen des kleinen Formates ist das Moment der Bewegung, beim Machen sowohl wie beim Betrachten, anders ausgeprägt. Beim Machen ist die Bewegung der Hand, des Körpers insgesamt eingeschränkter, als bei der Arbeit an größeren Formaten. Beim Betrachten sind die die Bilder, anders als bei Großformaten, mit einem Blick zu erfassen, die Bilderfahrung ist insgesamt statischer. Nur bei extrem kleinteiligen Bildern, die eine Betrachtung aus großer Nähe nötig machen, ist dies wieder anders. Der Beengtheit des Formates wegen, gerät man leicht ins Pedantische oder summarisch Kürzelhafte. Schon Alberti warnte in „Della Pittura“ (1436) davor, auf kleine Täfelchen zu zeichnen, dies führe zu Fehlern, Vereinfachungen, verführe zu „Schummelei“, was es einem dann erschwere große Formate zu bewältigen, “Ma guarda non fare come molti, quali imparano disegnare in picciole tavolelle.” (Della Pittura, Abschnitt 57)
Zum Ende des letzten Jahres habe ich die Arbeit an meinem ersten Bild beendet, dessen Titel auf eine biblische Geschichte verweist, JAKOB, GOTT SEGNE DICH.

Tillmann Damrau, JAKOB, GOTT SEGNE DICH, 2008, Mischtechnik auf Leinwand, 49 x 99 cm
Jakob ist eine der prominentesten Figuren des alten Testamentes. Auch diejenigen, die nicht besonders vertraut sind mit den Geschichten der Bibel, wissen doch häufig, dass Jakob seinem Bruder Esau, der hungrig vom Feld heimkehrte, für ein Linsengericht das Erstgeburtsrecht abhandelte und sich später trickreich den Segen seines blinden, alten Vaters Isaak für diese Transaktion erschlich. Danach machte er sich auf den Weg nach Mesopotamien um sich dort zu verheiraten. Eines Nachts, zu Beginn der Reise träumte er Engel stiegen auf einer Leiter zwischen Himmel und Erde auf und ab und oben, am Ende der Leiter stünde Gott, der ihn segnete. Nach vierzehn Jahren in der Fremde, wo ihm von vier Frauen insgesamt elf Söhne und etliche Töchter geboren wurden, kehrte Jakob mit seiner Familie wieder nach Hause zurück. Auf der Reise dorthin wurde ihm von Rahel der letzte seiner insgesamt zwölf Söhne, Benjamin, geboren, zudem hatte er noch einen nächtlichen Kampf mit Gott zu bestehen, von dem Jakob nicht ablassen wollte, bis dieser den Segen erneuert hätte. Gott erteilte also den Segen und verletze ihn dazuhin so sehr an der Hüfte, dass Jakob fortan hinken musste. Der Ausgezeichnete ist, wie häufig, auch ein Gezeichneter.
Jakob gehört zu jenen facettenreicheren Figuren, die – oft getrieben von einem Charakter, in dem sich ein Mangel an Fügsamkeit mit dem Drang verbindet, Besonderes zu erbringen1 – Regeln verletzen, geprüft und schließlich erwählt, in einem umfassenderen Sinne gesegnet werden.
Nun wollte ich keine bildliche Exegese einer biblischen Geschichte versuchen. Als ich das Bild in Arbeit hatte und den Titel wählte, war mir die Geschichte Jakobs, wie sie in der Bibel berichtet wird, auch nur in groben Zügen präsent.
Das Bild zeigt vielmehr jenen Moment des Glücks, wo sich die Fülle uns zuteilt. Noch wissen wir nicht von der Last, die Fülle zudem noch bedeuten kann. Bestenfalls eine Ahnung davon ist im zuversichtlichen Ausschreiten präsent. Es ist genau das naiv Kraftvolle dieser Glückserfahrung, dieser Glücksgewissheit, dieser Glücksinnigkeit, das Vieles erleichtert und tragen hilft, wenn die Wege steinig werden.
1. Eine Konstellation, die sie leicht zu Agenten des Ehrgeizes anderer werden lässt. Im Falle Jakobs des Ehrgeizes seine Mutter, die Esau, ihrem Erstgeborenen, die damit verbundenen Rechte missgönnt und Jakob zu seinen Betrügereien anstachelt.
ALBERTI, LEON BATTISTA, Della Pittura – Über die Malkunst, herausgegeben von O. Bätschmann und S. Gianfreda, (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt 2007
Kategorien:Gemacht, Neue Bilder, Tillmann Damrau, Zeichnung, Malerei